Krüppel-Zeitung


Aufbruchstimmung im Kontext neuer sozialer Bewegungen

Der kämpferische Ton der 'KrüZ' ist symptomatisch für die Aufbruchstimmung, die Ende der 70er Jahre unter einem Teil der bundesdeutschen Behinderten zu finden war: Der Ausbruch aus der 'Normalität', den die 68erStudentenbewegung vorexerzierte, und der Aufbruch der 'Neuen Sozialen Bewegungen' übertrug sich auch auf behinderte Menschen. Der Anspruch auf Basisarbeit und Politik in der ersten Person bot auch für Krüppel, deren Sozialisation allzu oft in Sondereinrichtungen und Anstalten stattfand, die Möglichkeit, sich selbst ernst zu nehmen und den 'Krüppel' in sich zu entdecken. Behinderung, die von allen Seiten immer negativ sanktioniert wurde, erhielt durch diese Begriffswandlung eine neue, eine positive Bedeutung. Die Benutzung des Begriffs 'Krüppel' bedeutete aber auch Abgrenzung zur herrschenden Behindertenpolitik und den Anpassungsbestrebungen eines Großteils der behinderten Menschen an die durchgängig nichtbehindert strukturierte und normierte Gesellschaft. Der Begriff 'Krüppel' sollte entlarven und Nichtbehinderte dort treffen, wo sie es nicht erwarteten, indem er zum Kampfbegriff machte, was als Schimpfwort gemeint war.

 

Ab der Nr. 1 der 'KrüZ' erschien in jeder Ausgabe auf Seite 2 eine Erklärung der Redaktion, warum sich ihre Mitglieder selbst als Krüppel bezeichnen und die Zeitschrift diesen Namen trägt.

 

Zum Symbol der 'KrüZ' wählte das Redaktionskollektiv eine Zeichnung, die der Hauptfigur aus dem Roman von Victor Hugo (geschrieben 1831), dem buckligen 'Glöckner von Notre-Dame', nachempfunden war: Der Glöckner, auch liebevoll Quasimodo genannt, zierte Felsbrocken werfend, sich gegen die Pariser Bevölkerung wehrend, den Titel einer jeden Ausgabe der 'KrüZ' und fand sich ab Ausgabe 2/80 stilisiert auch auf der Seite des Inhaltsverzeichnisses (S. 3) wieder, wo Quasimodo mit Steinen nach einem Befürworter der Integration wirft.

 

Die redaktionelle Arbeit an der 'Krüppelzeitung' wurde durchgehend vom 'Redaktionskollektiv' bestimmt. Alle Entscheidungen wurden auf 'Redaktionswochenenden' 'basisdemokratisch' getroffen. Die Anzahl von Mitarbeiterinnen der 'KrüZ' wechselte ständig, jedoch arbeitete in den ersten drei Jahren ihres Bestehens eine mehr oder weniger feste Gruppe von zehn Menschen regelmäßig am Erscheinen der 'KrüZ'.

 

Der jeweilige Umfang der 'KrüZ' richtete sich nach den vorliegenden Artikeln und nicht nach einem vorgegebenen Umfang, den es zu erreichen bzw. nicht zu überschreiten galt. Ab der Ausgabe Nr. 2/1981 wird die 'KrüZ' für sehbehinderte und blinde Abonnentlnnen von der Redaktion auch aufgelesen auf Compakt-Cassetten zur Verfügung gestellt.

 

l. Nichtbehinderte DM 5,00
ii. Behinderte (volles Einkommen) DM 3,00
III. Behinderte, Sozialhilfe, BafoG DM 1,50
IV. Behinderte. Taschengeldempfänger DM 1.00
aus: Krüppetzeitung Nr.1

 

Auch in der Preisgestaltung setzte die Redaktion der 'KrüZ' neue Maßstäbe: Zahlten Behinderte in Anstalten (Sozialhilfe- und Taschengeldempfänger) jeweils 1,00 DM (1.) und Behinderte mit Einkommen jeweils 3,00 DM pro Nummer (II.), wurden Nichtbehinderte mit jeweils 5,00 DM pro Ausgabe zur Kasse gebeten (III.). Die Redaktion bemerkte dazu: „Bei Nichtbehinderten gehen wir davon aus, daß wir die Zeitung nicht für sie geschrieben haben. Daß manche von ihnen sicherlich unsere Zeitung lesen werden, können und wollen wir nicht verhindern. Ihre Neugier soll aber im Preis berücksichtigt werden. Denjenigen, die unsere Zeitung zu ihrer beruflichen Fortbildung benutzen, können wir auch diese höhere Investition zumuten." (Krüz ab Ausg. 1/1980, S. 2)

 

Diese Praxis wird erst mit Ausgabe Nr. 1/84 beendet, ab diesem Zeitpunkt zahlen "(Nicht) Behinderte 3,00 DM" pro Exemplar (der Preis für behinderte Taschengeldempfänger wird beibehalten), wofür die Redaktion die folgenden Gründe angibt: "Der erhöhte Preis für Nichtbehinderte ist weggefallen. Nicht weil wir jetzt auf Integrationskurs segeln, sondern: Weil wir auf das ewige Gefeilsche um die Mark schlichtweg keine Lust mehr haben; weil die Regelung häufig umgangen wird..." ('KrüZ' Nr. 1/84, S. 4)

 

Durchgängig war das Redaktionskollektiv bemüht, Diskussionsanstöße zu bieten und die sich ergebenen Meinungs- und Positionsunterschiede jeweils zu dokumentieren und auch wieder neu zu thematisieren. Dies machte sicher auch einen Teil der nach der 'KrüZ' nie wieder erreichten Authentizität aus, die innerhalb kurzer Zeit viele behinderte Menschen ansprach. Obwohl die Redaktion nie bekannt gab, wie hoch die Auflage der Zeitung war, ist davon auszugehen, daß sie sich zwischen 1.500 und 2.000 Exemplaren p.A. einpendelte.